.inspired Magazin - Nr. 19 | Dezember 2023

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Das Magazin des Department of Economics Nr. 19 | Dezember 2023

Standpunkte Globalisierung Seite 4

Die WTO steht am Scheideweg Seite 12

5 Fragen an Amanda Dahlstrand Seite 15

Pioniergeist und Exzellenz Seite 19

GLOBALISIERUNG


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Geschätzte Leserinnen und Leser Wie stark die Globalisierung unseren Alltag prägt, wurde uns in den letzten Jahren schmerzlich bewusst. Eine Reihe von Krisen haben offenbart, wie stark wir darauf angewiesen sind, dass grenzüberschreitende Prozesse, Wege und Abläufe nahtlos funktionieren. Man kann aus den Erfahrungen unterschiedliche Schlüs­­­­­se ziehen: dass wir zu viel Globalisierung ausge­­setzt sind und das Rad zurückdrehen müssen; oder dass wir die Spielregeln an die Herausforderungen einer globalisierten Welt anpassen müssen. In diesem Spannungsfeld muss sich auch die WTO neu positionieren. Im Interview spricht ihr Chefökonom Ralph Ossa über die Herausforderungen und Überlegungen der Welthandelsorganisation (Seite 10).

Die Globalisierung bietet zwischen Effizienzgewinnen und Steuerschlupflöchern unzählige Fragestellungen. Öko­­­­­nominnen und Ökonomen, die mathematische Mo­­del­le und Methoden beherrschen, haben die nötigen Voraussetzungen, um diese zu beantworten. Eine Auswahl von Fragen und Antworten präsentieren wir auf Seite 4. Trotz vielen ungelösten Herausforderungen lässt mich die Leidenschaft unserer Nachwuchsforschenden optimistisch in die Zukunft blicken. Der Wille, Fragestellungen tief­­greifend zu verstehen, zu analysieren und Antworten klar und zugänglich zu formulieren, ist die Grundvor­ aussetzung, um wissenschaftliche Erkenntnisse in den po­ li­tischen Entscheidungsprozess zu tragen. Wie das geht, haben Doktorierende an der Annual Research Night des Department of Economics mit ihren auf den Punkt gebrachten Research Slams kürzlich gezeigt. Mehr dazu auf Seite 7. Gute Ausbildung kostet. Jedes Jahr bewerben sich mehrere Hundert Nachwuchsforschende auf ein Dutzend Doktoran­denplätze an unserem Institut. Wir haben das Privileg, die Besten auszusuchen und an die Universität Zürich zu holen. Dank privater Unterstützung können wir zusätzliche Talente ausbilden und unseren Anspruch, mit fun­dierter Wissenschaft zur Lösung der globalen Herausforderungen unserer Zeit beizutragen, ausbauen. Mehr dazu auf Seite 19. Ich wünsche Ihnen eine einsichtsreiche Lektüre

Florian Scheuer

Neues aus dem Department : www.econ.uzh.ch / news newsletter@econ.uzh.ch Folgen Sie uns auf Social Media: UZH Department of Economics @econ_uzh @econ.uzh #uzheconomics


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Standpunkte Globalisierung

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Annual Research Night Academic Spirit Seite 8

Kurz & Knapp Forschung auf den Punkt gebracht Seite 10

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Die WTO steht am Scheideweg Ralph Ossa im Gespräch

5 Fragen an Amanda Dahlstrand

Seite 15

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Aktuelle Forschung Eine Auswahl von Erkenntnissen aus dem Department UBS Center For Economics in Society Seite 18

Pioniergeist und Exzellenz Seite 19


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STANDPUNKTE Globalisierung Unser Alltag ist von der Globalisierung in vielfältiger Weise durchzogen : exotische Früchte zum Frühstück, die internationalen Aktienkurse auf dem Handy checken, auf AirBnB eine Wohnung für die nächsten Ferien buchen, eine koreanische Serie streamen, über die Ursachen der politischen Polarisierung nachdenken, zwischen einer Flasche Wein aus Kalifornien und dem Burgenland wählen. Kaum eine Handlung ist nicht Teil dieses weltumspannenden Netzes. Das gilt besonders auch für ökonomische Fragestellungen, die sich mit den unterschiedlichsten Aspekten der Globalisierung befassen. Wir haben ein paar herausgepickt und Professor:innen am Department befragt.


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PROF. FLORIAN SCHEUER Public Finance, Taxation, Inequality

Könnte ein globales Steuer-­ ­system Steuer­vermeidung durch Unternehmen reduzieren ? Ein globaler Ansatz, der den Steuerwettbewerb zwischen Ländern aufhebt, ist nicht realistisch. Ein interessantes Konzept ist die Destinationsbasierte Cashflow-Steuer (DBCF-Steuer), die den lokal erzielten Cashflow und nicht den Unternehmensgewinn am Unternehmenssitz besteuert. Unternehmen bezahlen in den Ländern Steuern, in denen sie Umsätze erzielen, unabhängig vom Hauptsitz. Aufwände für Waren und Vorleistungen, die im Inland gekauft werden, können abgezogen werden und Exporte werden nicht versteuert. Auch werden Eigenkapitalinvestitionen gegenüber Fremdkapital attraktiver. Die DBCF-Steuer würde einen Paradigmenwechsel in der Unternehmensbesteuerung bedeuten und es wären einige Hürden zu nehmen. Sie müsste sorgfältig aufgesetzt werden, sodass die impliziten Importzölle und Export­ subventionen in Einklang mit WTO-Handelsregeln stehen. Reformen in Schritten sind aber durchaus möglich: Im Zuge der OECD-Mindest­steuer wird für grosse multinationale Unternehmen ein ähnliches System eingeführt.

PROF. DINA POMERANZ Development Economics, Public Finance, Impact Evaluations

Weltweite Armut hat sich enorm reduziert. Dina Pomeranz forscht in Ländern mit tiefen und mittleren Einkommen. Rund 85 % der Menschheit lebt in diesen sogenannten Entwicklungsländern. Die wirtschaftlichen Entwicklungen in diesen Ländern findet sie besonders spannend. «Die globale Armut hat in den letzten 25 Jahren so stark abgenommen wie noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit». Während im Jahr 2000 fast ein Drittel der Welt­­bevölkerung in extremer Armut lebte, sind es heute noch rund 8 %. Gleichzeitig haben Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und Telekommunikation rapide zu­ genommen. «Die Welt rückt zusammen», sagt Pomeranz. «Es ist ausserordentlich interessant zu untersuchen, wie diese positiven Entwicklungen noch verstärkt werden können.»


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PROF. DAVID DORN

riesige Datenmengen, mit beträchtlichem Ausbeutungs­ potenzial, die Auswahlarchitektur einer Website kann so gestaltet werden, dass Nutzer gezielt geführt und mani­ puliert werden. Der fehlende direkte Kontakt erschwert Rückgabe- und Beschwerdeprozesse für Händler und Käufer, und eine unklare Abgrenzung zwischen ge­­­sponserten und re­daktio­nellen Inhalten untergräbt ­­­­wettbewerbsrecht­­­li­che ­Bestimmungen. Grosse, globale Plattformen sind von diesen Problemen besonders be­troffen. Es gibt bereits regulatorische Vorschläge, die mit kleinen Gesetzesanpassungen Lücken schliessen können, sodass digitale Märkte im Interesse und zum Wohl der Zivilge­sell­ schaft wirtschaften können.

Labor Markets, Globalization, Technological Change and Innovation

Was ist der Kern der Globalisierungskrise ? Wir wissen schon lange, dass Handel Gewinner und Verlie­­rer hervorbringt. Die Auswirkungen auf die Ungleichheit sind jedoch wesentlich grösser, als man das ursprünglich gedacht hat. Beim bedeutenden Import von Gütern aus China sind die Vorteile in Form von niedrigen Konsumentenpreisen relativ gleichmässig in der Bevölkerung verteilt, während die Nachteile durch das Wegfallen von Industriejobs sehr stark auf einzelne Bevölkerungsgruppen und geografische Re­gionen konzentriert sind. Deshalb könnte man sagen: Die Ungleichheit ist in einem Ausmass grösser geworden, das man so nicht erwartet hat. Und das führt zu den politischen Konflikten zwischen Gewinnern und Verlierern.

PROF. JOACHIM VOTH Cultural Economics, Long-Run Growth, Asset Market Volatility, Living Standards

Ist die Liberalisierung des Kapitalverkehrs schlecht für Anleger ?

PROF. GREGORY CRAWFORD Empirical Industrial Organization, Antitrust/Competition Policy, Media Economics

Können globale digitale Plattformen reguliert werden ? Kaum etwas verkörpert die Globalisierung wie Online-­Markt­ plätze, auf denen Waren und Dienst­leistungen mit einem Mausklick bestellt werden können. Aus Sicht des Konsu­ mentenschutzes unterscheiden sich diese Platt­for­men von traditionellen Märkten in zentralen Punkten, die durch das be­stehende Wettbewerbsrecht nicht geregelt sind und von den Betreibern ausgenutzt werden können: Sie ­sammeln

Die Liberalisierung des Kapitalverkehrs führt dazu, dass Bewegungen auf nationalen Aktienmärkten stärker mit den Bewegungen auf ausländischen Märkten korrelieren. Je offener der Kapitalmarkt, desto stärker die Korrelation und desto geringer die Diversifizierungsvorteile. Das heisst für Anleger, dass sie in offenen Märkten weniger Rendite er­ wirtschaften können als in weniger offenen. Dieser Effekt wird weiter verstärkt, denn die Globalisierung führt auch dazu, dass die wirtschaftlichen Fundamentaldaten zwischen Ländern stärker korrelieren.

Der Artikel kann hier nachgelesen werden:


Annual Research NIGHT Pulitzer-Preisträgerin Anne Applebaum wurde an der Annual Research Night 2023 herzlich empfangen und beeindruckte mit ihrer Rede «Autocracy Inc.: How the World’s Authoritarians Work Together».

­ epartment Drei Nachwuchsforschende aus dem D ­of Economics präsentierten anschliessend ihre Forschung. Die «Research Slams»boten den Gästen Inspiration und Einblick in Fragestellungen aus dem Department.

Zum dritten Mal luden das Department of Economics und die Excellence Foundation Zurich Ende September im Zürcher Club Aura zur Annual Re­search Night. In ihrer Keynote führte Anne Applebaum aus, dass wir in der Ära der Autokratien angekommen sind. Diese zeichnet sich durch die Art der Kooperation unter Machthabern aus. Denn heute, so erklärte sie, werden Autokratien durch ausgeklügelte, geschäftsähnliche Netzwerke geführt. Anne Applebaum nennt diese Organisati­ons­form «Autocracy Inc.». Zum Schutz der liberalen Demokratie sei es von zentraler Bedeutung, zu verstehen, wie diese autokratischen Netzwerke operieren und wie sie demokratische Institutionen untergraben: «Diese vernetzten Autokratien lassen sich mit den bestehenden Strukturen nicht unter Kontrolle halten, denn Sanktionen verfallen über die Zeit und Autokratien helfen sich gegenseitig, diese zu umgehen.» Ein erster Schritt wäre es, sicherzustellen, dass Massnahmen zur Korruptionsbekämpfung in­nenpolitisch greifen. «Wenn demokratische Länder Korruption ernsthaft angehen wollen, dann müssen sie die Gesetze ändern, damit reiche kasachische oder venezolanische Bürger nicht anonym Eigentum in London oder Zürich erwerben oder Geld in South Dakota verstecken können. Das bedeutet, dass wir Steuerlücken schliessen und Geldwäschereigesetze verschärfen müssen, den Verkauf von Sicherheits- und Überwachungstechnik an Autokratien stoppen und vielleicht auch darüber nachdenken sollten, uns von den bösartigsten Regimes abzuwenden.»

Dass Rentensysteme reformiert werden müssen, ist unbestritten. Aber welche Reform hat den grössten Effekt? Dies untersuchte Alumnus und Professor Andreas Haller, Assistenzprofessor an der Universität Bergen, der vor drei Jahren sein Doktoratsstudium an unserem Department abschloss. Niklas Bürgi, Doktorand an der Marlene ­Porsche Graduate School of Neuroeconomics un­ter­sucht, ob man die Fähigkeit zur «Mentalisierung», also sich in den Kopf seines Gegenübers zu versetzen, messen kann. Miriam Venturini, Doktorandin der Zurich Graduate School of Economics zeigt die langfris­ tigen, unerwünschten Nebenwirkungen bei der Au­f­­­­deckung von Korruptionsskandalen auf.

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Video «Pension Reforms»

Video «Outsmarting Others in Strategic Situations»

Video «The Imperfect Union : Corruption Exposure and Its Consequences»


Academic SPIRIT Auszeichnungen, Förderbeiträge und Veranstaltungen

GRANTS

EVENTS

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Der Universitäre Forschungsschwerpunkt Equality of Opportunity lud am 14. November zum öffentlichen Vortrag mit Prof. Christian Dustmann (University College London) zum Thema «THE IMPACT OF IMMIGRATION: FACT, FICTION, AND PERCEPTION»ein. In der Gesellschaft kursieren viele Vorurteile und Ängste zum Thema Immigration. Welche sind Fakt, welche Fiktion? Christian Dustmann präsentierte Daten darüber, welche Auswirkungen die Migration tatsächlich auf Arbeitsmarkt, Wirtschaft, Kriminalitäts­ raten, Kultur und Wahlergebniss hat. Der Vortrag kann auf der Webseite des Forschungsschwerpunkt Equality of Opportunity abgerufen werden:

TANJA MÜLLER erhielt eine SNSF SWISS POST­­D OCTORAL FELLOWSHIP für ihr Projekt «TIRED IN AN UNCERTAIN WORLD: HOW DOES FATIGUE AFFECT RISKY DECISIONS?». Sie unter­sucht darin die Auswirkungen von Ermüdung auf unser Entscheidungs­­­­verhalten.

STEPHAN NEBE erhielt ein SNSF PROJECT FUNDING VON 640 000 CHF für sein Projekt «THE PROCESS OF HABITIZATION, ITS NEURAL IMPLEMENTATION AND CLINICAL APPLICATION». Darin untersucht er den Ent­stehungs­prozess von Gewohnheitshandlungen bei Menschen.

Am 5. ECONnect-Anlass lud EconAlumni seine Mitglieder ein, mit Ernst Fehr und alt Bundesrat Kaspar Villiger einer unbequemen Frage nach­zu­­gehen: Wieweit funktioniert Eigenverantwortung und wann muss der Staat eingreifen? Denn wer Verantwortung übernimmt, muss auch die Konsequenzen tragen.

Der Artikel kann hier nachgelesen werden:

SANDRO AMBÜHL untersucht in seinem Projekt «POSITIVE WEL­FARE ECONOMICS» was Bürgerinnen, politische Entscheidungs­ träger und Expertinnen als gut für die Gesellschaft und das Individuum verstehen. Das Projekt wird durch einen SNSF STARTING GRANT VON 1.3 MIO CHF e­ r­möglicht und hat im September gestartet.


HERZLICHE GRATULATION

DAVID DORN wurde mit dem re­n ­­­ om­­miertesten Wissenschaftspreis der Deutschen Ökonomenvereinigung, dem HERMANN-HEINRICH-­ GOSSEN-PREIS, ausgezeichnet. Dieser wird jährlich an den oder die beste Wirtschaftswissenschaftlerin unter 45 Jahren in Deutschland, Österreich und der Schweiz ver­liehen. Die Vorsitzende des Vereins für Socialpolitik, Prof. Regina T. Riphahn, erklärt: «Die empirischen Arbeiten von David Dorn sind stets von höchster Qualität. Sie haben nicht nur bedeutend zur Forschung beigetragen, sondern auch ge­sellschaftliche Debatten auf beiden Seiten des Atlantiks nachhaltig beeinflusst.»

ANA COSTA-RAMÓN und ANNE BRENØE erhielten einen SNF-GRANT VON 590 000 CHF für das Projekt «(Not) Thinking About the Future: Financial Awareness and Maternal Labor Force Participation». Ziel dieses Projektes ist es, zu unter­ suchen, ob die Sensibilisierung von Müttern hinsichtlich der lang­ fristigen finanziellen Folgen einer Reduktion ihres Arbeitspensums ihre Ent­scheidungen diesbezüglich beeinflusst. JOACHIM VOTH und Co-Autor Bruno Caprettini (Universität St. Gallen) erhalten den DILIGENTIA-PREIS FÜR EMPIRISCHE FORSCHUNG. Die Diligentia Stiftung zeichnet jedes Jahr heraus­ragende empirische und experimentelle Forschungsarbeiten aus, die innovative Ergebnisse für gesellschaftlich relevante Sachverhalte produziert haben.

ULF ZÖLITZ wurde vom Uni­ver­si­­täts­­­­­rat zum AUSSERORDENTLICHEN PROFESSOR AD PERSONAM FÜR ÖKONOMIK DER KINDER- UND JUGEND­E NT­W ICKLUNG ernannt. Ulf Zölitz ist seit 2017 am Department of Economics als Assistenz­professor für Ökonomik der Kinder- und Jugend­­ entwicklung tätig

MICHAEL WOLF wurde von der SOCIETY FOR FINANCIAL ECONOMETRICS (SoFiE) in Anerkennung seiner herausragenden Beiträge zur Finanzökonometrie zum SOFIE FELLOW gewählt. Die an der New York University angesiedelte Orga­nisation umfasst ein globales Netzwerk von Wissenschaftler:innen, die sich der Forschung auf dem Gebiet der Finanz­ökonometrie widmen.

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Kurz & KNAPP Interessante Erkenntnisse aus der Forschung auf den Punkt gebracht.

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Should I stay or should I go ? Zu wissen, wann man gehen oder aufhören soll, ist wichtig, für die eigene mentale Gesundheit genauso wie für die effiziente Nutzung von Ressourcen. Die Botenstoffe Noradrenalin und Acetylcholin spielen eine Rolle, wenn es darum geht, den optimalen Zeitpunkt zu erkennen, um weiterzuziehen. Nick Sidorenko, Hui-Kuan Chung, Marcus Grueschow, Philippe N. Tobler Foraging theory prescribes when optimal foragers should leave the current option for more rewarding alternatives. PNAS, 2023

Daten aus Dänemark zeigten, dass kurz nach Beginn der Einnahme der Antibabypille die Wahrscheinlichkeit einer Depressionsdiagnose und die Einnahme von Antidepressiva bei jungen Frauen zwischen 16 und 18 Jahren ansteigt. Zudem variieren die Verschreibungsraten stark zwischen Ärzten. Ana Costa-Ramón, N. Meltem Daysal, Ana Rodrígez-González The Oral Contraceptive Pill and Adolescents’ Mental Health IZA Discussion Paper Series, DP No. 16288, 2023

Leonardo Bursztyn, Aakaash Rao, Christopher Roth, David Yanagizawa-Drott Opinions as Facts Review of Economic Studies, Forthcoming

Subjektive Kommentar- und Analyse­sendungen erfreuen sich wachsender Beliebtheit, quer durch das ideologische Spektrum. Dies auf Kosten von klassischen Nachrichtensendungen. Die subjektiv gefärbte Darstellung einer Sachlage führt dazu, dass Zuschauer:innen unter­ schiedliche, z. T. entgegengesetzte Schlussfolgerungen ziehen.


Niklas Bürgi, Gökhan Aydogan, Arkady Konovalov, Christian C. Ruff A neural fingerprint of adaptive mentalization in strategic interactions. Working Paper 2023

Ist die Fähigkeit, sich in den Kopf seines Gegenübers zu versetzen, messbar? Ja. Es gibt Aktivitätsmuster im Gehirn, die systematisch mit dieser Fähigkeit zur «Mentalisierung» zusammenhängen. Die Muster könnten im Sinne eines «neurologischen Fingerabdrucks» als Diagnosetool in klinischen Anwendungen, z. B. bei Abklärungen zum AutismusSpektrum, genutzt werden.

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Das Alter für Frühpensionierung erhöhen oder die Rentenleistung kürzen – welche Massnahme hat einen grösseren Effekt auf das Rentensystem ? Die Anhebung der Altersgrenze ist dann sinnvoll, wenn ein Dollar in der Hand eines Frühpensionierten dreimal weniger Wert hat als ein Dollar in der Hand eines durchschnittlichen pensionierten Bezügers. Ansonsten ist eine Reduktion der Rentenleistung effektiver. Andreas Haller Welfare Effects of Pension Reforms Working Paper, 2022

Die Aufdeckung von Korruptionsskandalen kann unerwünschte Nebenwirkungen nach sich ziehen. Der gewerkschaftliche Korruptionsskandal Ende der 1950er-Jahre in den USA schwächte die betroffenen Gewerkschaften nachhaltig. Aber nicht nur: Durch Spill-over-Effekte litten auch unbeteiligte Gewerkschaften unter einem Reputations- und Mitgliederverlust. Miriam Venturini The Imperfect Union: Labor Racketeering, Corruption Exposure, and Its Consequences Job Market Paper, 2023

Erschöpfung nimmt durch Anstrengung zu und unsere Motivation, uns weiter­hin anzu­strengen, verringert sich. Für solche Motivationsschwankungen scheint die momentane neuronale Aktivität in bestimmten Regionen unseres Gehirns eine zentrale und relativ spezifische Rolle zu spielen. Tanja Müller, Miriam C. Klein-Flügge, Sanjay G. Manohar, Masud Husain, Matthew A. J. Apps Neural and computational mechanisms of momentary fatigue and persistence in effort-based choice. Nature Communications, 12, 2021


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DIE WTO steht am Scheideweg Der neue Chefökonom Ralph Ossa wagt offene Worte über die Misere der Welthandels­organisation, verteidigt die Globalisierung und verrät, warum er mit Skiunterwäsche am Schreibtisch sitzt.


Herr Ossa, wie schlecht geht es der Welt­handels­­orga­ni­­­sa­tion (WTO) in Zeiten von Krieg und Handelskonflikten? Die WTO steht am Scheideweg, auch was die Globalisierung insgesamt angeht. Wir müssen aufpassen, nicht das kaputtzumachen, was wir uns über Jahrzehnte aufgebaut haben. Wie meinen Sie das? Das Narrativ hat sich um 180 Grad gedreht. Bis vor Kurzem waren sich alle mehr oder weniger einig darüber, dass wirtschaftliche Verflechtung eine gute Sache ist. Sie ist wichtig für Wohlstand und Sicherheit. Gerade wir Deutschen wissen das. Die ganze Idee der europäischen Integration war ja, dass sich Deutschland, Frankreich und andere Länder miteinander verflechten, eben weil es geopolitische Spannungen gab. Diese Philosophie hat sich lange gehalten. Auch der Beitritt Chinas zur WTO hat in diesem Geist stattgefunden. Doch dann kamen die Finanzkrise, die Corona-­ Pandemie und der Krieg in der Ukraine. Diese Krisen ­haben den Eindruck entstehen lassen, dass wir zu viel Globali­ sierung ausgesetzt sind, dass die Globalisierung zu riskant ist für uns und dass wir das Rad wieder ein Stück weit zurückdrehen müssen. Jetzt geht es nicht mehr um wirtschaftliche Verflechtung, sondern um wirtschaftliche Unabhängigkeit.

In Teilen der Öffentlichkeit herrscht die Anspruchshaltung, dass man von irgendwelchen Krisen doch bitte schön nichts mitbekommen sollte. Ist es nicht eine kluge Einsicht, dass man sich nicht ab­hängig machen, sich nicht ausliefern sollte? Oder über­treiben wir? In der Corona-Krise haben wir gemerkt, dass wir zum Teil abhängig vom Ausland sind, etwa bei der Lieferung von Schutzmasken und Beatmungsgeräten und der Ukraine­ krieg legte die Abhängigkeit von russischem Gas offen, um nur zwei Beispiele zu nennen. Daraus folgerten viele Menschen, dass es ohne Globalisierung besser gelaufen wäre. Doch diese Schlussfolgerung ist falsch. Wir sind nur dank des Handels einigermassen gut durch die Pandemie gekommen. Es kam zu einem Boom, weil sich die Leute plötzlich ihr Homeoffice einrichteten. Für die Herstellung und Verteilung der Impfstoffe brauchte es globale Lieferketten. Der Handel war also eine Quelle der Resilienz. Und das wird in der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen? In Teilen der Öffentlichkeit herrscht die Anspruchshal­tung, dass man von irgendwelchen Krisen doch bitte schön nichts mitbekommen sollte. Dies schürt den Wunsch nach Abschottung, die im Ergebnis allerdings kontraproduktiv wäre.

Es gibt auch einen komparativen Vorteil in Umweltfragen, weil manche Länder bestimmte Sachen emissionsintensiver produzieren als andere.

Populisten wettern oft gegen die Globalisierung. Kriegen die mehr Rückenwind? Ja, leider. Die Globalisierung ist eine Art Sündenbock. Es ist politisch immer einfacher, wenn die anderen schuld sind an einer Misere und nicht man selbst. Beeinflusst die Globalisierungsskepsis die Handelspolitik? Ja, da sehen wir heute deutliche Spannungen. Der Handelskonflikt zwischen China und den USA ist dafür das offensichtlichste Beispiel. Ein grosser Teil des bilateralen Handels zwischen diesen beiden Ländern ist mit Zöllen belegt. Es gibt aber noch viele weitere Massnahmen, die andere Länder als protektionistisch wahrnehmen. All das bremst letztlich den globalen Warenaustausch. Stark protektionistische Züge trägt auch der Subven­ti­­ons­­wettlauf, in den die USA und die EU eingetreten sind. Was sagen Sie dazu? Viele dieser Subventionen zielen darauf, das Klima zu schützen und die Wirtschaft grüner zu machen. Das ist zunächst einmal eine gute Sache. Allerdings wird oft nicht berücksichtigt, welche Folgen diese Massnahmen für das regelbasierte multilaterale Handelssystem haben. Allein der Eindruck, dass WTO-Regeln gebrochen werden, ist schon ein grosses Problem für uns. Unsere Regeln entfalten schliesslich nur dann Wirkung, wenn die Wirtschaftsakteure davon überzeugt sind, dass diese Regeln auch wirklich gelten. Wird der Klimaschutz nicht deutlich teurer, wenn der internationale Wettbewerb mittels nationaler Subven­ tionen ausgebremst wird? Ja, das ist genau das Problem. Der Klimawandel wird nur dann vernünftig zu bekämpfen sein, wenn die Türen offen bleiben. Der Handel dient dazu, die grünen Technologien in der Welt zu verbreiten und deren Wirksamkeit zu verstärken. Es gibt ja nicht nur wirtschaftliche Handelsgewinne, die daraus resultieren, dass Länder auf Feldern produzieren, in denen sie relativ stark sind. Es gibt auch einen komparativen Vorteil in Umweltfragen, weil manche Länder bestimmte Sachen emissionsintensiver produzieren als andere. Es wäre dumm, diesen Hebel auszuschalten. Es gibt auch einen komparativen Vorteil in Umweltfragen, weil manche Länder bestimmte Sachen emissionsintensi­ver produzieren als andere.

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Aber ist es nicht verständlich, dass die EU-Kommission darauf dringt, die Abhängigkeit von China zu verringern, um sich nicht erpressbar zu machen? Ja, schon, aber die Frage ist, wie weit man das sogenannte De-Risking treiben sollte. Schauen Sie, die Welt steht vor drei grossen Herausforderungen: Wir müssen eine nachhaltige Wirtschaft schaffen, Armut und Ungleichheit reduzieren sowie Sicherheit und Frieden bewahren. Für alle drei dieser Herausforderungen ist es wichtig, den Handel als Teil der Lösung anzusehen. China ist seit dem WTO-Beitritt im Jahr 2001 wirtschaftlich unglaublich stark gewachsen. Das hat zu Problemen im amerikanischen Arbeitsmarkt geführt, das will ich nicht kleinreden. Aber letztlich sind so Hunderte Millionen Menschen der Armut entkommen. Der Erfolg Chinas wirkt motivierend auf andere Entwicklungsländer, die gemerkt haben, dass es Wege gibt, aus der Armutsfalle herauszufinden. Selbst die Ungleichheit zwischen den Ländern dieser Welt ist zuletzt zurückgegangen. Das wäre ohne den Handel nicht passiert. Aber die Hoffnung, dass China nach dem WTO-Beitritt demokratischer und marktwirtschaftlicher werden würde, ist bitter enttäuscht worden. Einen politischen Wandel innerhalb eines Landes herbeizuführen ist nicht das Mandat der WTO. Aber ich verstehe natürlich den Wunsch vieler WTO-Mitglieder, die Regeln der WTO so anzupassen, dass sie einer protektionistischen Staatswirtschaft entgegenwirken. Über die Rolle des ­­­Staa­tes in der Wirtschaft gibt es Gesprächsbedarf. Welche Folgen hat die zunehmende Blockbildung zwischen Ost und West? Wenn es zu einer geopolitisch motivierten Fragmentierung käme und die Weltwirtschaft in einen östlichen und einen westlichen Block zerfiele, zöge das Realeinkommensverluste von durchschnittlich 5,4 Prozent nach sich, wobei das Minus in Entwicklungsländern noch deutlich höher wäre. Ohne ein multilaterales regelbasiertes Handelssystem regiert das Recht des Stärkeren. Damit könnten die USA, China und die EU vielleicht noch leben. Aber für kleine Länder wäre das ein grosses Problem, auch für die Schweiz. Was bedeutete das für die Zukunft der WTO? Wenn das neue Mantra «Gegeneinander statt miteinander» lautet und Regeln nicht mehr respektiert werden, dann ist die WTO in ihrer Existenz bedroht. Ist die Organisation nicht allein schon deshalb akut bedroht, weil die Amerikaner weiterhin die Nachbesetzung der Richterstellen in der WTO-Berufungsinstanz blockieren und damit den Mechanismus zur Beilegung von Handelskonflikten lahmlegen? Ich gebe zu: Es sieht von aussen betrachtet nicht gut aus, dass unser Kronjuwel, wie der Streitbeilegungsmechanismus genannt wird, nicht richtig funktioniert. Die Situation ist allerdings nicht so schlimm, wie sie oft dargestellt wird. Die erste Streitschlichtungsinstanz funktioniert ja noch. Und nicht alle Streitereien werden in die Berufungsinstanz weitergezogen. Ausserdem hat sich eine Reihe von ­Ländern

auf eine andere Art von Berufungsverfahren geeinigt. Auf der WTO-Ministerkonferenz vor gut einem Jahr hat man sich darauf verständigt, dieses Problem bis 2024 lösen zu wollen. Es finden ernsthafte Diskussionen darüber statt. Sie sind seit Anfang dieses Jahres Chefökonom der WTO. Was hat Sie bei Ihrem Start in Genf positiv und negativ überrascht? Positiv überrascht hat mich die Effizienz der WTO-Mitarbeiter. Mit wenig Ressourcen produzieren sie sehr viel. Und alle sind mit Herzblut bei der Sache. Für die WTO zu arbeiten ist für sie mehr als nur ein Job. Sie wollen den Multilateralismus und den Handel unterstützen, so wie ich auch. Negativ überrascht hat mich die finanzielle Ausstattung der WTO. Unser Budget ist seit zehn Jahren nicht mehr erhöht worden. Als ich im Januar in Genf anfing, war die Heizung aus Kostengründen so niedrig gestellt, dass ich mit Skiunterwäsche am Schreibtisch sitzen musste. Neu dürfte für Sie auch sein, dass Sie sich jetzt in einem politischen Umfeld bewegen. Ja, das stimmt. Ich muss plötzlich aufpassen, was ich öffentlich sagen darf und was nicht. Die 164 Mitgliedsländer der WTO haben mindestens 164 Meinungen – und sagen auch, wenn ihnen etwas nicht passt. In diesem Spannungsfeld musste und muss ich mich erst noch zurechtfinden.

Ich muss damit leben, dass allein schon manche Frage­stellungen als politisch wahrgenommen werden. Schränkt das die Qualität Ihrer Arbeit nicht ein? Als Chefökonom leiten Sie ja auch die Forschungsabteilung der WTO. Ich muss damit leben, dass allein schon manche Fragestellungen als politisch wahrgenommen werden. Da muss man viel erklären. Trotzdem ist es mein Anspruch, unsere Forschungsergebnisse auch zu publizieren. Dabei haben wir die Rückendeckung unserer Generaldirektorin Ngozi Okonjo-Iweala. Sie ist sehr daran interessiert, dass wir unabhängige und vernünftige Forschung betreiben. Das Gespräch führte Johannes Ritter

Gekürzter Nachdruck mit Genehmigung «Die WTO steht am Scheideweg» (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 01.09.2023, Nr. 203, S. 18, Johannes Ritter). © Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv.


5 Fragen an AMANDA DAHLSTRAND Amanda Dahlstrand ist seit Juli 2023 Assistenzprofessorin für angewandte Mikroökonomie am Department of Economics. Sie forscht in den Bereichen Organisationen, Arbeit und Entwicklung mit den Schwerpunkten Gesundheit und Ungleichheit.

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Amanda Dahlstrand, an welchen Themen arbeiten Sie derzeit ? Ich beschäftige mich gerade mit dem Thema Remote Services aus verschiedenen Perspektiven. Viele Dienstleistungen, zum Beispiel in den Bereichen Banking, ­Weiterbildung, therapeutische Betreuung, Gesundheitsvorsorge etc., bieten Online-Optionen an. Wir wissen heute aber nur wenig über die Auswirkungen. Ich untersuche gerade, ob und wie sich die Ergebnisse von persönlichen und Online-Arzt­ konsultationen unterscheiden. Sind Online-Arztbesuche langfristig günstiger als persönliche Termine? Dazu verwenden wir ein Instrumentalvariablenmodell, bei dem wir den Kostenverlauf von ähnlichen Patient:innen vergleichen können, die persönlich oder online versorgt wurden.

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Was ist die wichtigste Erkenntnis aus dieser Arbeit ? In der aktuellen Studie stellen wir fest, dass die Online-Beratung schneller und mit weniger Wartezeiten verbunden ist und dass die Ergebnisse der Konsultationen, also Diagnose, Verschreibungen, Überweisungen und Zufriedenheit, sich kaum unterscheiden. Vor allem aber interessiert uns, was nach der Konsultation passiert. Wir stellen fest, dass Online-Konsultationen zu mehr persönlichen Folgeterminen führen, sowohl bei der Primärversorgung als auch in der Notaufnahme. Online-Konsultationen scheinen also zunächst kostengünstiger zu sein, aber wenn man die Kosten für zusätzliche Nachsorgetermine mit einbezieht, kosten sie am Ende fast so viel wie persönliche Konsultationen. Es gibt jedoch Vorteile von Online-Diensten, z. B. bei der effizienten Allokation von Anbietern und Nutzern. Diese untersuche ich aktuell in einer anderen Studie.

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Sie haben bereits eine Studie im «Journal of Political Economy» (JPE) veröffentlicht, einem der Top­journals unseres Faches … Ja, tatsächlich. Wir haben eine Studie veröffentlicht, die untersucht, wie die Lebensbedingungen in den städtischen Slums in Afrika verbessert werden können. Die in informellen Slums angelegten Infrastrukturen verfallen häufig. Wir

haben festgestellt, dass die Bereitstellung grundlegender Infrastrukturen wie Wasser und Strassen sowie formeller Eigentumsrechte in unerschlossenen Gebieten ausserhalb der Stadtgrenzen, zusammen mit einer Ermutigung der Menschen, sich dort niederzulassen, private Investitionen anziehen und zu einer Verbesserung der Wohnverhältnisse führen. Wir haben die Entwicklung solcher Gebiete 40 Jahre lang mithilfe von Satellitenbildern, Karten und Umfragedaten verfolgt und gesehen, wie sie sich zu richtigen Stadtvierteln entwickelt haben.

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Sie sind seit Kurzem an der UZH tätig. Was hat Sie dazu bewogen, nach Zürich zu kommen ? Die Universität Zürich bietet ein hervorragendes Umfeld für produktive Forschung. Die Arbeitskollegen am Institut sind intelligent und freundlich, ganz zu schweigen von den klugen Studenten. Darüber hinaus mag ich die Stadt Zürich sehr.

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Wer inspiriert Ihre Arbeit ? Ich möchte Amy Finkelstein und Marcella Alsan erwähnen. Beide haben bemerkenswerte Beiträge über Gesundheitsversorgung und Ungleichheit geschrieben, und seit meiner Zeit als Doktorandin lese ich ihre Artikel und lasse mich von ihrer Arbeit inspirieren. Während meiner Zeit als Postdoktorandin in den USA hatte ich das Glück, sie zu treffen und von ihnen noch mehr zu lernen.

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Aktuelle FORSCHUNG Eine Auswahl von Erkenntnissen aus dem Department

Die Flat-Earth-Theorie als Verschwörungs­ theorie abzutun, ist ein schwaches Argument, denn eine – wenn auch kleine – Anzahl von sogenannten Verschwörungstheorien hat sich über die Zeit als wahr herausgestellt. Michael Wolf präsentiert eine elegante und nachvollziehbare Antwort auf die Frage, ob die Erde eine Scheibe oder eine Kugel ist.

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«Statistik ist die ideale Methode, um umstrittene Fragen zu beantworten. Sie ist eine rein mathema­ tische Wissenschaft und hängt weder von Grundannahmen noch von ideologischen Paradigmen ab», erklärt er. Sein Modell basiert auf öffentlich zugänglichen Daten und prüft anhand relativ einfacher statistischer Methoden die Hypothese einer Nullkrümmung der Erdoberfläche (Scheibe) vs. einer ge­­­krümmten Erdoberfläche (Kugel). Distanzen und Flugdauern in Nord-Süd- vs. Ost-West-­Richtung

Kugel oder Scheibe ? Die Statistik liefert eine elegante Antwort auf ein alte Frage

Die Idee ist simpel : Städtepaare entlang der NordSüd-Achse haben in beiden Modellen die gleichen Entfernungen. Anhand der Flugdauern zwischen solchen Städtepaaren lässt sich mit einem linearen Regressionsmodell unstreitig zeigen, wie Flugdauer und Distanz zusammenhängen. Dies gilt jedoch nicht für Städtepaare auf der Ost-West-Achse. Dort implizieren die Modelle verschiedene Distanzen. Je weiter vom Nordpol entfernt, umso grösser die Differenz zwischen den Modellen. Fliegt man von Perth, Australien, ca. 7 Stunden Richtung Norden, landet man in Hongkong. Ein gleich langer Flug Richtung Westen bringt die Passagiere nach Mauritius. Wäre die Erde eine Scheibe, müsste die Flugdauer für die Strecke von Perth nach Mauritius jedoch etwa doppelt so lange dauern wie für die Strecke von Perth nach Hongkong. Seine Resultate gehen noch weiter. Der Wert der Krümmung, der auf physikalischen Vermessungen basiert — p/20 ‘0a00 km —, ist im Konfidenzintervall des statistischen Schätzwerts enthalten. Damit ist auf statistische Weise das Kugelmodell bestätigt.

Eine längere Version dieses Artikels finden Sie hier: David Bell, Olivier Ledoit and Michael Wolf A Novel Estimator of Earth’s Curvature (Allowing For Inference As Well). UZH Working Paper ECON 431.


Die Digitalisierung von Dienstleistungen macht auch das Gesundheitswesen effizienter. Online-Dienste überwinden die räumliche Bindung zwischen Leistungserbringer und Nutzer. Dies ermöglicht eine Optimierung des Matchings von Ärzt:innen und Patient:innen, da letzteren eine viel grössere Anzahl von Leistungserbringern zugänglich werden.

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Die Wissenschaftlerin Amanda Dahlstrand wollte ver­stehen, ob es überhaupt eine Rolle spielt, welchen Hausarzt man aufsucht, und ob dies die Qualität der Gesundheitsversorgung beeinflusst. Um diesen Fragen nachzugehen, nahm sie die Datenbank von Europas grösstem digitalem Grundversorger unter die Lupe. Die Datenbank umfasst die Zuweisung von 200 000 Patienten zu 150 Ärzten in Schweden zwischen 2016 und 2018, die nach dem Zu­fallsprinzip erfolgte. Ein optimiertes Matching führt zu einer besseren Gesundheitsversorgung Einerseits stellte die Forscherin fest, dass Allgemeinmediziner über sehr unterschiedliche Kompetenzen verfügen und unterschiedlich gute Leistungen erbringen. Andererseits wurden der geschätzte Bedarf bzw. das Risiko der Patienten unterschiedlich eingestuft. Die Frage ist nun, ob eine optimierte Zusammenführung von Ärzten und Patienten durch einen Algorithmus (Matching) im Gegensatz zum Zufallsprinzip zu einer besseren Versorgung führen würde. Könnten die bestqualifizierten Ärzte die Hochrisikopatienten besser versorgen? Die Forscherin simulierte eine optimierte Pati­ enten-Ärzte-Zusammenführung und konnte zeigen, dass ein algorithmisch gesteuertes und optimiertes Matching tatsächlich positive Effekte auf die Gesund­ pheitsversorgung hat. Zum Beispiel reduziert das Zusammenführen von hochqualifizierten Ärzten mit Patienten mit einem dringenden Versorgungsbedarf negative gesundheitliche Folgen um 90 %. Ein weiterer Vorteil dieses Matchings, den sie feststellen konnte, ist die Verringerung von Ungleichheit in der Gesundheitsversorgung, da die besten Ärzte auch Patienten mit niedrigem Einkommen zugewiesen werden können.

Sie haben ein Match ! Wie die Tele­medizin die Gesundheits­ versorgung verbessern könnte

Amanda Dahlstrand Defying Distance? The Provision of Services in the Digital Age Job Market Paper, 2023


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Rückblick 2023

Ausblick 2024

Eventreihe: Demokratien in Gefahr

Osteuropa im Wandel: Herausforderungen und Chancen UBS Center Opinions, 20.03.2024, Universität Zürich

«Demokratie kann man verlernen.»

Alexander Van der Bellen

Bundespräsident der Republik Österreich

Herta Müller

Nobelpreisträgerin und Autorin

Die Schweiz am Scheideweg? EU, Migration und Wettbewerbsfähigkeit

«Die Zukunft der freiheitlichen Demokratie liegt in unseren eigenen Händen.»

UBS Center Wirtschaftspodium, 16.04.2024, Kongresshaus Zürich

Eva Herzog

Ständerätin des Kantons Basel-Stadt

Wolfgang Schäuble

ehemaliger Präsident des Deutschen Bundestags

Bundesrat Ignazio Cassis

Vorsteher des EDA

Democratic Conflict and Polarization: Healthy or Harmful?

How can behavioral economics improve people’s lives?

UBS Center Public Paper #14 Autoren: Silja Häusermann und Simon Bornschier

UBS Center Opinions, 25.04.2024, Universität Zürich

B. Douglas Bernheim

Edward Ames Edmonds Professor of Economics at Stanford University

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Unsere Events

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Fotos: B. Douglas Bernheim © Stanford University; Ignazio Cassis © Schweizerische Bundeskanzlei; Eva Herzog © parlament.ch; Herta Müller © U. Montan / The Nobel Foundation; Wolfgang Schäuble © Deutscher Bundestag; Alexander Van der Bellen © Parlamentsdirektion / WILKE


Pioniergeist und EXZELLENZ 19

Zusammen mit Partnerorgani­sa­ tionen und Einzelpersonen begleitet und unterstützt die Excellence Foundation Zurich das Department of Economics an der Universität Zürich in seiner Mission, die fünf grössten Herausforderungen unserer Zeit anzu­gehen und zu bewältigen. Investitionen in Nach­­wuchsforschung sind nur eine von vielen Möglichkeiten. Gerne spreche ich mit Ihnen persönlich über die möglichen Optionen. Katrin.Polzer@efzh.org

Kreativ, neugierig und entschlossen, neue Wege zu beschreiten.

Die Zurich Graduate School of Economics (Zurich GSE) ist ein nach internationalen Standards strukturiertes Doktoratsprogramm am Department of Economics. Sie gilt als die erste Adresse für ein Doktorat in Ökonomie auf dem europäischen Festland und gehört zu den besten Programmen weltweit. Das Bewerbungsverfahren ist kompetitiv und aufwendig. Aus mehreren Hundert Bewerbungen erhalten pro Jahr nur 12 bis 15 Personen einen der begehrten Plätze.

Mehr über den Excellence Foundation Fond

Das Ziel: aussichtsreiche junge Talente aus der ganzen Welt zu herausragenden Ökonom:innen auszubilden, die nachhaltig zur Lösung der globalen Herausforderungen beitragen können – als Wissenschaftler:innen an den besten Universitäten oder als Führungskräfte in bedeutenden Institutionen wie Zentralbanken, WTO, Regierungen, internationalen Organisationen und Unternehmen. Mit Ihrer Unterstützung bringen wir die gefragtesten Talente an die Universität Zürich und stärken damit Zürich und die Schweiz als Wirtschafts- und Bildungsstandort.

Sie können die aussichtsreichsten Kandidat:innen auf ihrem Weg begleiten. Bereits mit einer Spende von CHF 5 000.– können Sie ein spezifisches Projekt fördern. Weitere Unterstützungsmöglichkeiten reichen von Reisestipendien über Karriere-Kickstart-Förderung bis hin zum Vollstipendium. Unsere Doktorand:innen durchlaufen eine anspruchsvolle Ausbildung und arbeiten vom ersten Tag an eng mit führenden Professor:innen auf ihrem Gebiet zusammen. So können Sie sicher sein, dass Ihr Beitrag einen realen Impact hat.


.inspired Das Magazin des Department of Economics I Nr. 19 I Dezember 2023 Herausgeber Universität Zürich Department of Economics Schönberggasse 1 8001 Zürich www.econ.uzh.ch newsletter@econ.uzh.ch Editorial Victoria Watts | Solenn Le Goff Layout Theresia Nuber Bildnachweis Titelbild | Chirag Nayak @photografi_chi Seite 2 | Marco Blessano Seite 3 | Ueli Christoffel | Dorian Delnon | Adobe Stock / royyimzy / Taljat Seite 4, 6 | Adobe Stock / almagami | Marco Blessano Seite 7, 8, 9 | Ueli Christoffel | Marco Blessano Seite 10, 11 | Adobe Stock / krissikunterbunt, generiert mit KI / Leandro Crespi, Stocksy / Катерина Євтехова, generiert mit KI / Jadon B, peopleimages.com / Subhakitnibhat / Rawpixel.com / Imagecreator, generiert mit KI Seite 12 | Adobe Stock / Taljat Seite 14, 15, 16, 17 | Marco Blessano | Dorian Delnon Seite 18 | UBS Center Seite 19 | Marco Blessano | Adobe Stock / Jacob Lund ISSN 2813-4303 | Auflage: 1 200 If you want to go fast – go alone. If you want to go far – go together. In diesem Sinne bedanken wir uns bei unseren Partnern und Donatoren für die Zusammenarbeit.

Marlene Porsche Stiftung


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